Anfang 1945 wurde die Flak nahezu vollständig aufgelöst und mein Grossvater wurde von der Luftwaffe zu einer Festungs-PAK Ausbildungs- und Ersatzeinheit 101 "Spernat" verlegt. Nach einer kurzen Ausbildung in Fallingbostel/Munster kam er Mitte Februar 1945 nach Berlin. Sein erster Anlaufpunkt/ offene Anschrift, war die Heereswaffenmeisterschule in Berlin Treptow.
Sein weiterer Aufenthalt in Berlin im Frühjahr 1945 ist relativ unklar. Sein letzter heute noch erhaltener Brief stammt vom Februar 1945. Weitere kleinere Anhaltspunkte ergeben sich aus der Vermißten- Suchanfrage meiner Grossmutter an die sowj. Besatzungsbehörden im Jahr 1946. Danach stammte Richards letzte übermittelte Nachricht (vermutlich ein Brief) vom 13. März 1945 aus Berlin-Buckow und seine letzte Anschrift/Feldpostnummer war die Heereswaffen-meisterschule am Treptower Park 4-8. Diese Nachricht ist leider nicht mehr erhalten.
Bezugnehmend auf die mir vorliegenden Informationen aus der einschlägigen und weiterführenden Literatur zu den Kämpfen um Berlin, der Suche in Archiven und persönlich erhaltenen Informationen habe ich für mich folgende Erklärung der letzten Lebenstage meines Grossvaters: Der Bereich im Berliner Südosten, in dem Richard sich vermutlich bis zu Beginn der Kampfhandlungen aufhielt, wurde während der Endkämpfe um Berlin von der 8. Garde Armee und der 1. Gde. Pz. Armee angegriffen. Das LVI. Panzerkorps unter seinem Kommandeur General Weidling zog sich geschwächt durch die Kämpfe an den Seelower Höhen ebenfalls an den südöstlichen Stadtrand zurück. Weidling wollte ein Einrücken in die Stadt zwar vermeiden, wurde von Hitler aber noch zum Kampf-kommandanten von Berlin gemacht und war so gezwungen, seine Einheiten ebenfalls in die Stadt zu ziehen.
Die Festungs-PAK Einheit "Spernat", war eine jener typischen Namenseinheiten, die in den letzten Kriegswochen zusammengestellt wurde. Vermutlich handelte es sich um eine Einheit, in der fast ausschliesslich Luftwaffensoldaten ggf. auch ungarischen Freiwillige zusammengefasst wurden. Die Einheit bezog bereits im März 45 Stellung im Raum Britz/Buckow. Im Rahmen der geschaffenen Verteidigungsbereiche dürften an vielen Punkten Abwehrstellungen entlang des Verteidigungsringes gebildet worden sein. Das gesamte Gebiet Buckow/Britz/Neukölln umfasste im wesentlichen den Verteidigungsabschnitt „C“ der Reichshauptstadt. Im Osten angrenzend den Abschnitt „B“ (Treptow) und im Westen den Abschnitt „D“. Der äussere Verteidigungsring von Berlin verlief im Süden und Südosten entlang der Verbindungsstraße zwischen Marienfelde und Buckow, am Teltowkanal (Eugen Kleine Brücke) entlang, Richtung Osten/Müggelsee. Er schloss Johannisthal, Britz und Buckow mit ein. Zur Sicherung der südlichen und östlichen Stadtbezirke war ein durchgehender Panzergraben angelegt worden. Der innere Verteidigungsring war besser ausgebaut und verlief hauptsächlich entlang des Berliner S-Bahn Ringes. Die mehrgleisigen Trassen entlang der Dämme und tieferliegenden Trassen bildeten ein ideales Hindernis.
Bisher ist es über diese veröffentlichten Informationen auf meiner Website gelungen, drei weitere Kameraden aus der Einheit “Spernat” zu identifizieren. Der Sohn von Karl Spernat meldete sich bei mir. Laut Aussage des Sohnes war der Vater als Zugführer einer Kampfeinheit zunächst in Britz. Der Vater ist anscheinend in Tempelhof am 25.4.1945 in russische Gefangenschaft gekommen. Es ist aufgrund der Seltenheit des Namens Spernat mit grosser Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei Karl Spernat um den ehemaligen Einheitsführer handelt. Der Sohn weiss aus den mündlichen Überlieferungen nur zu berichten, dass der Vater im März/April 1945 in Britz bei einer Familie Bredow (Gärtnerei-Besitzer o.ä.) untergebracht war.
Festungs PAK Einheiten in den letzten Kriegsmonaten sind ein sehr komplexes Themenfeld. In den Suchbildunterlagen des DRK (veröffentlicht direkt in den Jahren nach dem Krieg) gibt es mehrere tausend vermisste Soldaten aus Festungs PAK Einheiten (Band AX). Die Einsatzorte der Einheiten sind nicht immer klar, oftmals stammen letzte Meldungen an die Familien gehäuft aus größeren Städten z.B. Dresden, Berlin oder Löbau, bevor die Einheiten an der Ostfront in den Kampf geworfen wurden. Ein Quercheck über die Onlinesuche der Kriegsgräberfürsorge zeigt dann, dass die später ermittelten Grablagen einzelner Soldaten z.B. in Breslau oder Posen etc. sind.
Im Internet ist in einschlägigen Foren o.ä. wenig bis gar nichts zu finden. Ich habe die verschiedenen Quellen und Informationen versucht zu ordnen, zu verknüpfen und herauszufiltern, welche Festungs PAK Einheiten vermutlich in Richtung Berlin gingen.
Über die Vermißtenmeldung des DRK über Paul Krischkowski (Jahrgang 1923) konnte ich die Einheit „Spernat“ zuordnen. Über den Suchaufruf hier, meldete sich die Enkelin bei mir, die sowohl noch zwei Briefe ihres Großvaters aus Fallingbostel hatte und ausserdem den Brief eines Kameraden von P. Krischkowski bzw. Spätheimkehrers aus dem Jahr 1950 in den Familienunterlagen hatte.
Demnach war die Einheit “Spernat” vermutlich “nur” ein Zug der 3. Kompanie der Festungs PAK Ausbildungs und Ersatz Einheit 101 und “Spernat” nicht der Name des Kompanieführers (Offiziers) war. Dieser Schluss hat bei mir mehrere Jahre gebraucht und wird gestützt durch die Erkenntnisse aus dem DRK Archiv. Dort sind auf einigen Vermißtenkarten folgende Bezeichungen zu finden: 5. Kompanie Einheit xyz oder 2. Kompanie Einheit abc. Ferner war Karl Spernat nicht Offizier, sondern Hauptfeldwebel. Ob die gesamte 3. Kompanie in Berlin war ist mir bisher nicht bekannt.
Zumindest die Einheit “Spernat” wurde nach der Verlegung nach Berlin (und den ruhigen Tagen im Februar und März in Britz-Buckow) am 23.4. in schwere Kämpfe mit russ. Infanterie verwickelt und wich schliesslich nach Tempelhof aus. Von dort ging es infanteristisch weiter in Richtung S-Bhf Marienfelde. Paul Krischkowski ist demnach am 25.4.1945 am S-Bahnhof Marienfelde verschwunden, nur wenige km süd-westlich des Flughafens Tempelhof. Es kann gut möglich sein, dass Teile der Einheit Spernat in Tempelhof bereits in Gefangenschaft gerieten und ein anderer Teil der Gruppe in Richtung Innenstadt weiterzog. Geführt wurde die Kompanie anscheinend von einem “fanatischen” Leutnant.
Richard Göbels Schicksal hat sich vermutlich am 27.4.1945 direkt am grossen Zoobunker entscheiden. Der Zoobunker stellte eine relativ sichere Insel innerhalb des ganzen Chaos dar, feuerte die auf dem Dach befindliche 12,8cm Flak ständig Salven auf die russischen Panzer. Der grosse Zoobunker war mit Menschen vollgepfercht. Er muss es also alleine oder mit Kameraden bis in die Innenstadt geschafft haben. Aus einem Zeitzeugenbericht von Karena Niehoff vom 25. April in der Nähe des Shell-Hauses mit einem zufällig getroffenen Soldaten unterwegs: „Die Telefonzelle Tauentzien-/Ecke Rankestraße funktioniert noch. Vom Zoo bellt die Flak. Russische Geschütze antworten aus der Innenstadt (...). Bis zur Budapester Straße kommen wir ziemlich glatt. Aber nun pfeiffen die Granaten vom Tiergarten herüber, Flieger tummeln sich über uns, und die bellende Zooflak hat es haargenau auf unseren Weg abgesehen. In der ganzen Stadt ist nicht ein einziges Haus, das Schutz bieten könnte. Nur Trümmer. Der Tod hockt auf jedem Pflasterstein (...)“[1]
Oskar Dahlke beschreibt in seinem Bericht die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt, also im Laufe des 26. Aprils, die Russen im Süden bereits an der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche kämpften. Vom Zoo Bunker aus wurden Kampfgruppen dorthin geschickt. Der Bunker selber bekommt „ab und an“ einen Treffer ab. „Dieses Klopfen war unheimlich. Zwar waren die Wände hart und fest. Granaten prallten ab, hinterließen aber höchstens Kratzer. Doch der Feind war da, machte sich auch denen bemerkbar, der sich schon in Sicherheit wähnte, klopfte von Zeit zu Zeit an. Man wusste im Bunker nie so recht, ob es Tag oder Nacht war, nur an der regelmäßigen Essensausgabe konnte man sich orientieren. Aber die Rationen wurden zusehens kleiner...Die Gefechtslage von Stunde zu Stunde kritischer. Bald schon zog sich die HKL (Hauptkampflinie) durch das Zoogelände. Jetzt wurde die Bunkerbesatzung radikal reduziert. Es wurden kleinere Kampfgruppen gebildet. Zu einer davon gehörte ich, wir bezogen Stellungen im Vorgelände der Bahnlinie. Von Zeit zu Zeit wurde die Gruppe abgelöst, um im Bunker Verpflegung zu empfangen. Jeder von uns erhielt Brot, Butter und Käse sowie Zigaretten und Schnaps. Anschließend hoffte man, sich bis zum nächsten Einsatz noch ausruhen zu können.“[2]
Alles was Richard Göbel in den letzten Stunden dort erlebt hat, ist aus Sekundärliteratur ansatzweise ermittelbar. Getötet wurde er wohl durch Granatsplitter. Er wurde am Soldatenfriedhof zwischen dem Zoobunker und dem Planetarium beigesetzt. Erst 1946 erhielt meine Familie Nachricht über sein Schicksal. Die Identifizierung war erst nach Öffnung des Massengrabes möglich und Richard Göbel wurde nicht anhand seiner Erkennungsmarke, sondern seiner noch bei ihm befindlichen Taschenbibel identifiziert. Aufgrund seiner engen Kontakte zur Berliner Familie Oswalt war es möglich, dass diese sich in den Wirren der Stunde "0" - stellvertretend für meine Grossmutter – um die Bergung, Einäscherung und Urnenüberführung in den Westsektor kümmerten. So blieb zumindest die Gewissheit der Beisetzung in heimatlicher Erde. Meine Grossmutter ist bereits Ende der sechziger Jahre verstorben, weitere Aufzeichnungen von ihr sind nicht bekannt.
[1] Karena Niehoff in Peter Kruse; Bomben, TrĂĽmmer, Lucky Strikes; Seite 53; 60
[2] Wolfgang Venghaus; Berlin 1945; Seite 108ff
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